Tschernobyl: Als die Wolke kam

30 Jahre Tschernobyl
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Ich saß in der Schule, als die Wolke kam. Mein Nebensitzer raunte mir irgendwas zu, von wegen Radioaktivität, Strahlung, Unfall bei den Sowjets und so. Und dann sah ich es auch in den Nachrichten. Da musste wohl was Krasses passiert sein. Aber nix Genaues wusste man nicht. Noch nicht. Der eiserne Vorhang ließ zwar die Wolke durch, bei Infos hielt er dicht. Mangels Twitter & Co. dauerte es also eine halbe Ewigkeit, ehe dann jeder begriff, dass da in Tschernobyl nicht nur ein Sack Reis umgefallen war, sondern ein Super-GAU gerade halb Europa verstrahlt hatte.

Als Kind hatte ich ja immer schreckliche Angst vorm Atomkrieg, aber dass die Scheiße auch ganz ohne Bombe zu einem kommen kann, damit rechnete ich nicht. Irgendwie kann das ja nicht so sicher sein mit diesen Dingern, oder? Irgendwie ist Atomkraft doch saugefährlich? Dachten jetzt jedenfalls die meisten. Auch die, die keine „Nein danke“ Bäpper hinten auf dem Auto hatten. Nur unser Physiklehrer nicht. Atomkraft? Saubere Sache, ereiferte der sich. Und total sicher. Nur die doofen Russen können halt nix. Zuviel Wodka am Steuerknüppel und so. Und sowieso: Es heiße nicht Atomkraft, sondern Kernkraft. Das möchte er doch mal klargestellt haben. Was er damit genau sagen wollte und was solche Spitzfindigkeiten an der Gesamtsituation ändern würden, weiß ich bis heute nicht.

Aber ich habe generell nicht allzu viel von dem verstanden, was er da vorne immer so erzählt hat. Hoffentlich komme ich nie in eine Situation, dass ich alleine im Schaltraum eines havarierten Atom- , tschuldigung, Kernkraftwerkes sitze, das Schicksal der Welt von mir abhängt und es sich bitterlich rächt, dass mir einfach die Physik-Basics fehlen. Sorry, aber das Zeug war mir halt zu technisch, könnte man sagen. Ich habe lieber meine Energie darauf verwendet, liebevoll das VfB-Wappen in den verschiedensten Varianten in die ollen Holzbänke des Physiksaals einzutätowieren.

Apropos VfB Stuttgart. Mein guter alter Lieblingsverein stand ja ein paar Tage nach Tschernobyl im DFB-Pokalfinale und kriegte dort mit 2:5 von den Bayern eins auf die Mütze (Tore: Buchwald und Klinsmann). Ich weiß das genau, weil ich am selben Tag – ein paar Stunden früher – mit der Jugendmannschaft meines Dorfklubs von der Jugendmannschaft eines anderen Dorfklubs auch eins auf die Mütze bekommen hatte – mit ähnlich deutlichem Ergebnis. Und in der Pause des Spiels saßen wir da halt so rum auf dem satt-grün-strahlenden Rasen, den zuvor die radioaktive Wolke aus dem Osten so schön begossen hatte, und dachten nix Böses.

Was das alles bedeutete und wie schlimm es wirklich war, kam ja erst ganz allmählich raus. Bei denen in der Ukraine sowieso, aber auch bei uns. In der Zeitung stand, man könne nicht mehr alles essen, meine Oma ließ ihr Gartengemüse mit dem Geigerzähler checken und dann hieß es auch noch: Der Bua darf heut net ins Fußballtraining. Und spätestens da habe ich begriffen, was das mit der Atomkraft für eine Riesensauerei ist. Komischerweise musste 25 Jahre später erst noch ein japanischer Reaktor hochgehen, bis es dann jedem klar war – außer meinem Physiklehrer wahrscheinlich.